11-Jul-2019 --
English
11-Jul-2019 -- Testgelände
Wir sagen Tschüss Tien Shan in Kirgistan, rasen ein Stück über die neue Seiden-Autobahn in Kasachstan, bevor wir im Freilichtmuseum Khiva wieder in die alte Seidenstraßen-Pracht eintauchen. Die Folgen der sowjetischen Wasserwirtschaft erfahren wir am Grund des Aralsees in Usbekistan. Getrackt und gegrillt am Tor zur Hölle cruisen wir durch die absurde Leere in Ashgabat Turkmenistan, stürzen uns ins Getümmel lebendiger persischer Hochkultur im Iran und treffen alte Bekannte in den rauhen Landschaften von Armenien. Dies ist die Fortsetzung von 45°N 58°E.
„Kannst Du mir bitte die Gewindefeile raussuchen?“ Der auseinander gerissene Stoßfänger lässt sich nicht mehr zusammenschrauben. Zum Glück gibt es in unserem 4qm-Wohn-Schlaf-Bereich auch eine mobile Werkstatt. Das zerhauene Gewinde wird fachmännisch zurechtgefeilt. Der Aus- und Einbau ist Routine.
Derweil genießt der Navigator den Ausblick über die Tschink und den Rest des Aralsees. Hin- und hergerissen zwischen „bezaubernd“ und „furchteinflößend“ steht die Entscheidung im Raum „Baden oder besser sein lassen?“ Herbizide, Pestizide und eine 10fach erhöhte Salz-Konzentration im Wasser sind nicht das einzige Problem hier. Auf der anderen Seite des Sees liegt das ehemalige Testgelände der einstmals geschlossenen Stadt Kantubek aka Aralsk-7. Auf der „Insel der Widergeburt“ (russ.: Остров Возрождения / Ostrow Wosroschdenija) wurden 50 Jahre lang biologische Waffen an Affen, Hunden, Schafen und Pferden getestet, Aerosol-Wolken mit Milzbrand-, Pest-, Pocken und vielen anderen tödlichen Erreger freigesetzt [1][2][3]. Mit der geografisch abgeschotteten Lage, dem heißen Klima, konstanten Winden und einer Sperrzone rund um die Insel glaubten die Verantwortlichen des Biowaffen-Programms „Biopreparat“ Herr der Lage zu sein [2][4]. Rund um Aralsk-7 gibt es jedoch eine lange Reihe an Vorfällen von Fisch-Massensterben, über regionale Pandemien, Tod von 50.000 Saiga-Antilopen innerhalb einer Stunde [3][5] bis zum Tod von Anwohnern. Im Jahr 1971 verirrte sich das Schiff Lev Berg in einem mysteriösen braunen Nebel. Sie war bis 15 km an die verbotene Insel herangekommen. Eine Ichthyologin an Board erkrankte und verteilte offenbar Pocken in die Häfen am See, woraufhin mindestens 3 Menschen starben [3]. Ein Jahr später wurden zwei vermisste Fischer in ihrem Boot tot aufgefunden. Die Pest wurde als Todesursache diagnostiziert. [5]
Obwohl die Sowjetunion 1972 die Biowaffenkonvention unterzeichnet hat, wurde hier weiter entwickelt bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Herbst 1991 wurde das Feldtestlabor PNIL 52 mit Codenamen „Barkhan“ aufgelöst und die Überreste halbherzig beseitigt [5]. Größere Aufmerksamkeit im Westen bekam das Problem erst durch hochrangige Überläufer [6]. Der junge Republik Usbekistan wandte sich angesichts des belasteten Erbes hilfesuchend an die USA. Als sich im Juni 2002 die Insel der Wiedergeburt durch die mittlerweile rasante Verlandung des Aralsees erstmals mit der Südküste verband und damit zur Halbinsel mutierte (wegen der Wasserentnahme in den Zuflüssen zur Bewässerung der Wüste für Baumwollproduktion - ein anderes wahnwitziges Projekt der Sowjetunion), wurde ein 113köpfiges Team beauftragt die hastig verbuddelten Milzbranderreger zu neutralisieren. Trotz der 6-Millionen-Dollar-Säuberung befürchten Experten weiterhin, dass Erreger überlebt haben und Reptilien die Krankheiten weiterverbreiten könnten. [7]
„Haben wir eigentlich noch genug Wasser um zu Duschen?“ Wir sind mittlerweile die beiden Geländestufen der Tschink herunter gerollt. Ein langer Steg führt über den grauen Ufer-Schlick zum Wasser. Der Tour-Operator aus Nukus hatte uns am Abend zuvor gewarnt: „Fahrt nicht näher an das Wasser als bis zur Hütte.“ Dem Fahrer der Expedition war sofort klar, warum der Toyo am Strandrestaurant ähnlichen Gebäude geparkt werden soll. Der Navigator blickts eigentlich erst, als der geplante Badeversuch im hüfttiefen stinkenden Schlammschaum scheitert. Die Flip-Flops können dem klebrigen Brei gerade noch so entrissen werden. Der Steg ist offenbar mittlerweile zu kurz für das erhoffte Totes-Meer-Erlebnisbad, der Wasserstand noch weiter gesunken.
Irgendwann weiter südlich trennen sich unsere Wege. Der Aralsee und die Tschink, die Abbruchkante des Ustjurt-Plateaus entfernen sich nach Osten. Wir halten strikt Süd. In der flimmernden Hitze der Wüsten-Hochebene taucht ein schwarzer Fleck am Horizont auf, der langsam die Form von Bäumen annimmt. Wir halten drauf zu, fahren in das einsam gelegene Kubla-Ustjurt hinein und sind vom angenehmen schattigen Oasen-Klima in der Ortsmitte überrascht. Einer der wenigen Einwohner zeigt auf einen Wasserschlauch, der aus einem Garten ragt. Gemischte Gefühle beim Wasserfassen, denn Komsomolsk-na-Ustjurt, wie der Ort zu Sovjet-Zeiten hieß, wurde 1971 auch vom Schiff Luv Berg angefahren. [3]
Vorbei am weit und breit einzigen Arbeitgeber, der Gas Kompressor Station Ustjurt Süd KS-7 geht es Richtung Jasliq Ost-Süd-Ost. In der topfebenen Wüsteneinöde ist die Orientierung kein Problem. Die harte holprige Lehmpiste folgt den Stromleitungen, die die Verdichterstation der Pipeline Ural - Buchara versorgen. Das Gaspipelinesystem Zentralasien – Zentral wurde bereits zwischen 1960 und 1988 gebaut und wird heute von der russischen Firma Gazprom geführt. Diese Gaspipeline transportiert Gas von Turkmenistan über Usbekistan und Kasachstan nach Russland. Ein Funkmast an der Strecke ist schon von weitem zu erkennen. An dieser Landmarke zweigt eine Piste direkt nach Norden zum kurzen Konfluenz-Ausflug. Nach 3 km biegen für 400 Meter nach Osten ab. Die Konfluenz liegt 40 m neben dieser Querpiste. Nullen mit vier Rädern auf dem Ust-Urt „Hochland“ kein Problem.
Recherchiert und geschrieben im Pandemiejahr 2020/21 während ein Virus die Welt im Griff hat…
Faktenblatt:
- Name: Stromleitungspiste
- Abstand zur Piste: 40 m Piste (2,7 km Hauptpiste Kubla-Ustjurt - Jaslik)
- Nächster erreichter Punkt: 0 m
- Genauigkeit: 3 m
- Topographie: flach auf dem Ustjurt-Plateau
- Wetterlage: 41 °C wolkenlos: heiß und trocken
- Meereshöhe: 147 m
- Lokale Uhrzeit: 15:30 (GPS zeigt noch ULAT Zentral-Mongolische Zeit)
- Zeit zum Erreichen: 11 min von der Piste Kubla-Ustjurt - Jaslik
- Strecke zum Erreichen: 3,8 km
- Zeit insgesamt: 39 min
- Umweg insgesamt: 7,1 km
- offroad: 7,1 km (6,8 km Piste, 300 m offroad)
- zu Fuß: 0 m
Fortsetzung bei 44°N 57°E.
Weitere Reiseberichte unter www.afritracks.de.
English
11-Jul-2019 -- Test site
We say goodbye to Tien Shan in Kyrgyzstan, rush along silk highway in Kazakhstan, before we dive into the old splendor of silk road at open-air museum Khiva. We experience the consequences of the Soviet water management at the bottom of the Aral Sea in Uzbekistan. Tracked and grilled at Gate to Hell, we cruise through the absurd emptiness of Ashgabat Turkmenistan, plunge into lively Persian high culture of Iran and meet old friends in the rugged landscapes of Armenia. This continues the story of 45°N 58°E
"Can you please find me the thread restorer?" The torn-apart bumper can't be screwed back together. Fortunately, there is also a mobile workshop in our 4-square-meter living-sleeping area. The chipped thread is expertly filed to shape. Disassembly and reassembly are routine.
Meanwhile, the navigator enjoys the view over the Chink and the rest of the Aral Sea. Torn between "enchanting" and "terrifying," the decision about "Bathe or better leave it alone?" is not easy. Herbicides, pesticides and a 10-fold increase in salt concentration in the water are not the only problems here. At the opposite bank of the lake lies the former test site of the once-closed city of Kantubek aka Aralsk-7. On the "Island of Rebirth" (Russian: Остров Возрождения / Ostrov Vozrozhdeniya), for 50 years biological weapons were tested on monkeys, dogs, sheep and horses, aerosol clouds of anthrax, plague, smallpox and many other deadly pathogens were released [1][3][8]. By geographically isolated location, hot climate, constant winds, and a forbidden zone around the island, those in charge of bioweapons program "Biopreparat" believed they were in control of the situation [4]. However, around Aralsk-7 there is a long series of incidents from mass fish kills, to regional pandemics, death of 50,000 saiga antelopes within an hour [3][5] up to the death of local residents. In 1971, the ship Lev Berg got lost in a mysterious brown fog and had come within 15 km to the forbidden island. An ichthyologist on board fell ill and apparently spread smallpox to the lakeside ports. At least 3 people died [3]. A year later, two missing fishermen were found dead in their boat. Plague was diagnosed as cause of death [5].
Although the Soviet Union signed the Biological Weapons Convention in 1972, development continued here until the collapse of the Soviet Union. In the fall of 1991, the PNIL 52 field test laboratory, code-named "Barkhan," was disbanded and the remains were half-heartedly disposed of [5]. The problem received greater attention in the West only after high-level defections [6]. The young Republic of Uzbekistan asked the United States for help in sight of its contaminated legacy. In June 2002, when rapid siltation of the Aral Sea caused the island of rebirth joined to the southern coast the first time and thus mutated into a peninsula (due to the withdrawal of water in the tributaries to irrigate the desert for cotton production - another insane project of the Soviet Union), a 113-member team was assigned to neutralize the hastily buried anthrax pathogens. Despite the $5 million clean-up, experts remain concerned that pathogens have survived and reptiles could spread the diseases. [7]
"Do we actually have enough water left to take a shower?" We have meanwhile rolled down the two terrain steps of the Chink. A long boardwalk leads across the grey shoreline silt to the water. The tour operator from Nukus had warned us the night before: "Don't drive closer to the water than to the hut." To the driver it was immediately clear why the Toyo should be parked at the beach restaurant-like building. The navigator doesn't actually get it until the planned attempt to swim ended up in waist-deep stinking mud foam. Flip-flops could just be snatched from the sticky mess. The jetty is obviously now too short for a Dead Sea adventure bath cause the water level has sunk even further.
At some point further south, we part ways. The Aral Sea and the Chink, the escarpment of the Ustyurt plateau leave to the east. We keep strictly south. In the shimmering heat of the desert a black spot appears on the horizon, slowly taking the shape of trees. We drive into the lonely village of Kubla-Ustyurt and are surprised by the pleasant, shady oasis climate in the centre of the village. One of the few inhabitants points to a water hose sticking out of a garden. Mixed feelings while filling up as Komsomolsk-na-Ustyurt, as the village was called in Soviet times, was also served by the ship Lev Berg in 1971. [3]
Passing the only employer far and wide, the gas compressor station Ustyurt South KS-7, we head east-southeast towards Jasliq. Orientation is no problem in the flat desert wasteland. The bumpy hard clay road follows the power lines that supply the compressor station of pipeline Ural-Bukhara. The gas pipeline system Central Asia–Center was already build between 1960 and 1988 and is now managed by Russian company Gazprom. This gas pipeline transports gas from Turkmenistan via Uzbekistan and Kazakhstan to Russia. A cell tower at the route is visible from far away. At this landmark, a dirt road branches directly north for a short confluence excursion. After 3 km, turn east for 400 metres. The confluence is 40 metres off this crossing track. Zero by four wheels is no problem at flat Ustyurt "highland".
Researched and written in the pandemic year 2020/21 while a virus has the world in its grip....
CP Visit Details:
- Nickname: power line route
- Distance to track: 40 m (2,7 km to main track Jazlik - Kubla-Ustyurt)
- Distance according to GPS: 0 m
- Accuracy: 3 m
- Topography: flat high plain of Ustyurt Plateau
- Weather: 41 °C blue sky: dry & hot
- Altitude: 147 m
- Local time: 15:30 (GPS shows ULAT Central Mongolian Time)
- Time to reach: 11 min from main track Jazlik - Kubla-Ustyurt
- Distance to reach: 3,8 km
- Time: 39 min
- Detour: 7,1 km
- offroad: 7,1 km (6,8 km on tracks, 300 m offroad)
- walking: 0 m
Continued at 44°N 57°E.
Further trip reports you can find at www.afritracks.net or www.afritracks.de.
[1] Wikipedia dt. Insel der Widergeburt https://de.wikipedia.org/wiki/Insel_der_Wiedergeburt / Wikipedia: russ. Ostrov Wozroschdenja https://ru.m.wikipedia.org/wiki/Остров_Возрождения
[2] Die Insel der Tränen, Der Spiegel, Erich Follath, 09.10.2000 https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/17541556 oder https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-17541556.html
[3] Wikipedia 1971 Aral smallpox incident https://en.wikipedia.org/wiki/1971_Aral_smallpox_incident
[4] Former Soviet Biological WeaponsFacilities in Kazakhstan:Past, Present, and Future / Gulbarshyn BozheyevaYerlan KunakbayevDastan Yeleukenov / Monterey Institute of International Studies, June 1999 PDF
[5] The deadly germ warfare island abandoned by the Soviets, Zaria Gorvett, BBC Future 28th September 2017 https://www.bbc.com/future/article/20170926-the-deadly-germ-warfare-island-abandoned-by-the-soviets
russ: Остров Возрождение: как Советский Союз испытывал биологическое оружие, BBC Future 22. März 2018 https://www.bbc.com/ukrainian/vert-fut-russian-43500335
[6] Biohazard, Ken Alibek, 1999, Random House, New York, USA
[7] Hunting down tons of anthrax on a remote island / Last summer, a Pentagon team destroyed Soviet-era stockpile, Christopher Pala, Chronicle Foreign Service, March 24, 2003, Updated: Jan. 19, 2012 3:15 a.m. www.sfgate.com
[8] Anthrax Island, nYT, Christopher Pala, Jan. 12, 2003 http://www.nytimes.com/2003/01/12/magazine/anthrax-island.html